Quelle: ZZA 4/2003 Seite 20„
Der „Doktorfisch“ im Zoofachhandel
Heiltherapie als neues Geschäftsfeld
Seit geraumer Zeit haben einige Zierfischzüchter sich der so genannten „Doktorfische“ angenommen. Dabei handelt es sich um die Rötliche Saugbarbe (Garra rufa), die in der Therapie bei Hautkrankheiten eingesetzt wird. Auch der Zoofachhandel könnte die Nachfrage nutzen.
Tatsache ist, dass Garra rufa in Anatolien einen von heißen Thermalquellen gespeisten Bach in der Nähe des Ortes Kangal besiedeln (deshalb sind sie auch als „Kangal-Fische“ bekannt). Das warme, alkalische Wasser, das hohe Konzentrationen von Kalzium, Magnesium, Hydrokarbonat und Sulfat sowie Selen enthält, wird schon seit langer Zeit von Menschen zum Heilbaden und zu Trinkkuren aufgesucht. Inzwischen werden in Kangal komplette Kuren angeboten, die mindestens drei Wochen dauern sollen. Ähnlich wie Putzerfische beknabbern Garra rufa die obere Hautschicht der Badegäste und sorgen so für eine gründliche Entschuppung, was bei Psoriasis-Patienten nicht nur eine glatte, erscheinungsfreie Haut zur Folge haben kann, sondern auch Linderung vom Juckreiz. Darüber hinaus wird die wohltuende Massage durch die Fischmäuler gelobt. Gesichert sind Aussagen von Patienten, die über mehrere Monate erscheinungsfrei blieben; in Einzelfällen soll es auch zur Heilung gekommen sein. Wie hoch der Anteil an solchen Erfolgen auf die Fische zurückzuführen ist, auf das Wasser oder die Kombination aus beidem, ist nicht eindeutig geklärt. Als sanfte, naturheilkundliche Alternative zur klassischen Behandlung von Hautkrankheiten stößt diese Methode auch im deutschsprachigen Raum auf großes Interesse. Die Wissenschaft – alternativen Heilmethoden gegenüber als eher skeptisch bis ablehnend bekannt – streitet noch darüber, ob die Fische beim Knabbern tatsächlich „heilende“ Stoffe auf der Haut verteilen. Einer türkischen Studie zufolge sollen Garra rufa nämlich Enzyme absondern.Eins vorweg: Als „Wunderfische“, die Neurodermitis, Psoriasis, schwere Akne und andere Hautkrankheiten völlig heilen, sollte man Garra rufa nicht anpreisen, das wäre unseriös. Angebrachter ist es, von „Linderung“ zu sprechen.
Inzwischen hat sich unter anderem das Psoriasis Forum Berlin mit der Thematik auseinandergesetzt und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Garra rufa-Therapie unterschiedlich gut anschlägt, manchmal aber auch gar nicht.
Rummel und schwarze Schafe
Mit der zunehmenden Bekanntheit der knabbernden „Doktorfische“ über die Türkei hinaus setzte ein schwunghafter Handel mit den „Original Kangalfischen“ ein, deren Ausfuhr inzwischen verboten ist. Offensichtlich gibt es jedoch bereits genügend Fischstämme außerhalb Anatoliens, um Inzuchten zu vermeiden.
Es liegt auf der Hand, dass Meldungen über „Wunderfische“ zu euphorischen Darstellungen in vielen Medien mit reißerischem Charakter führen. Wie man sich leicht vorstellen kann, sind Menschen mit quälenden Hautkrankheiten schnell bereit, nach jedem Strohhalm zu greifen. Denn die Fische finden tatsächlich für die private Anwendung zu Hause Absatz. Die Fischpreise schwanken dabei beträchtlich (zwischen 3,00 und 20,00 Euro). Da wohl auch andere Arten als „heilende Doktorfische“ angepriesen wurden, wird teilweise mit „Echtheitszertifikaten“ für „Original Garra rufa“ geworben. Einige Züchter und Verkäufer – manche bieten die Fische mit Therapievorschlag über das Internet an – empfehlen allen Ernstes mit abgestandenem Leitungswasser gefüllte Regentonnen aus dem Baumarkt inklusive Elektroheizung für das Ganzkörperbad im heimischen Garten! Da fragt sich nicht nur das Psoriasis Forum Berlin, ob hierbei nicht die artgerechte Haltung und der Tierschutz auf der Strecke bleiben.
Kooperation mit Heilpraktikern und Kurhotels
Diese Anmerkungen sollen nicht den Eindruck erwecken, es tummelten sich auf diesem Gebiet nur Spinner und schwarze Schafe, sie sollen vielmehr die Tücken des Geschäfts mit der Gesundheit aufzeigen. Es geht natürlich auch seriös. So haben etliche Züchter erkannt, dass sich die Knabberfische nur bedingt für eine Heimtherapie eignen. Die Verleihung kleiner Becken kommt für sie nur dann in Frage, wenn bestimmte, gut erreichbare Körperstellen, wie Hände, Unterarme, Füße und Unterschenkel beknabbert werden sollen. Fische und Becken werden in solchen Fällen nur ausgeliehen; die Tiere kommen anschließend für ein bis zwei Wochen in Quarantäne, bevor sie erneut eingesetzt werden. Da Züchter und Zoofachhändler kaum in der Lage sind, im eigenen Geschäft komplett besetzte Großbecken für Patienten mit Hautkrankheiten aufzustellen (von der Organisation und den rechtlichen Konsequenzen einer solchen betriebsfremden Praxis ganz zu schweigen), eignet sich die Ganzkörper-Therapie eher für spezialisierte Heilpraktiker, Therapeuten oder Kurhotels. Diese brauchen dafür eine entsprechend große Anzahl von Fischen und entsprechend seriöse Bezugsquellen.
Damit ergibt sich für den Zoofachhandel ein fest umrissenes und seriöses Geschäftsfeld „Knabberfische“: Kooperation mit Heilpraktikern, Physiotherapeuten, ausgebildeten Masseuren und Kurhotels. Sie stellen die entsprechenden Badebehälter, bieten die Garra rufa-Therapie an und betreuen die Patienten. Die Fische verleiht der Zoofachhändler. Er kümmert sich auch um das Wasser, dessen Qualität und die Lebensumstände der Fische.
Als selbstverständlich gelten sollte, dass jeder Patient seine eigenen Fische erhält, die für die Dauer der Therapie in einem Becken zur Verfügung stehen. Als Anhaltspunkt: Eine Kur in Kangal dauert in der Regel drei Wochen, mit täglich drei bis vier jeweils zweistündigen Bädern. Hiesige Versuche haben ergeben, dass pro Patient bei einem Ganzkörperbad mindestens 150 Fische eingesetzt werden sollten. Zwar nähern sich die Garra rufa sofort, wenn man eine Hand ins Becken hält und beginnen prompt zu knabbern, doch das tut jeder einzelne Fisch natürlich nicht während der gesamten Therapiesitzung, deshalb braucht man so viele Fische. Für ein Teilbad werden 30 bis 50 Fische empfohlen.
Knackpunkt Wasserqualität
Garra rufa werden als recht robust beschrieben, brauchen jedoch Fließwasser. Sie können sowohl in normal temperiertem (15 bis 28° C) wie in deutlich wärmerem Wasser (33 bis 35° C) leben. Das Kangal-Wasser hat eine Durchschnittstemperatur von 35° C. Über die Beschaffenheit des Wassers sowie über die Ernährung gibt es so gut wie keine Informationen, vermutlich hat jeder Züchter sein eigenes „Rezept“. Es ist nahe liegend, den Garra rufa ähnliche Lebensbedingungen zu bieten wie in Anatolien, zumal der dortigen Wasserqualität ein Teil der Therapiewirkung zugeschrieben wird. Die Fische erreichen eine Größe von bis zu 16 cm, für die Therapie werden sie ab einer Größe von circa 8 cm eingesetzt.
Mario Ihm, Inhaber der Fischzucht Ihm in Falkensee, hat sich auf die Zucht von Garra rufa spezialisiert. Er arbeitet mit Praxen, Therapiestätten und Kuranlagen zusammen, denen er neben den Fischen auch spezielle Therapiewannen zur Verfügung stellt. Sie sind mit speziellen Filter- und Wasseraufbereitungsanlagen ausgestattet. Seine Fische werden nach Abschluss jeder Behandlung gegen regenerierte Tiere ausgetauscht. Ihm präsentierte seine Garra rufa sehr erfolgreich auf der Heim-Tier & Pflanze in Berlin und hat damit nicht nur neue Abnehmer aus dem Therapiebereich gewonnen, sondern konnte auch Zoofachhändler dafür begeistern, seine Methode aufzugreifen. Der Sinn liegt auf der Hand: Während es sich für die Zucht lohnt, Fische über große Entfernungen zu transportieren, ist dies beim Einsatz in der Therapie unwirtschaftlich, unpraktisch und nicht zum Wohle der Tiere. Das Verleihen der Garra rufa an Kooperationspartner eignet sich am besten im lokalen Umfeld. (vg)
Quelle: ZZA 4/2003 Seite 20″
Mit freundlicher Genehmigung von ZZA.
Online Quelle: http://www.zza-online.de/artikel/030420.html
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