Ein Fisch wird kommen …
Volkskrankheit Schuppenflechte: Im türkischen Kangal lindern Thermalbäder mit dem schuppenhungrigen „Doktorfisch“ auf natürliche Weise Hautkrankheiten. Die Putzerfisch-Therapie ist nun auch in Westeuropa stark im Kommen.
Kein Betroffener spricht gerne darüber, obgleich es jeden treffen kann. In Deutschland leiden nach offiziellen Schätzungen rund zwei Millionen Menschen an Schuppenflechte, in Österreich mindestens 250.000 – Tendenz steigend. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Zu den körperlichen Problemen kommen psychische. Die Erkrankten trauen sich oft kaum mehr in die Öffentlichkeit. Mit heutigen ärztlichen Behandlungsmethoden ist die Psoriasis nicht heilbar. Die teilweise sehr qualvollen Beschwerden der Betroffenen, wie der ständige Juckreiz, können jedoch gemildert werden. Solebäder, Ölungen, UV-Bestrahlungen und Arzneimittel tragen zur Linderung bei. Nebenwirkungen sind dabei nicht auszuschließen. Es gibt jedoch eine ergänzende, in den meisten Fällen wirksame und absolut natürliche Therapie. Gemeint ist der „Garra Rufa“ – gemeinhin als Kangal- oder Doktorfisch bekannt.
Heilsame Quellen
In der Provinz Sivas im türkischen Ost-Anatolien, weitab der großen Städte, liegt der Kangal-See. Dieser wird von Gebirgsbächen gespeist, in die heiße Thermalquellen einfließen. In Kangal sind seit 1963 Bassins mit dem Thermalwasser für Besucher geöffnet. Das Wasser zeigt hohe Konzentrationen an Kalzium, Sulfat, Selen, Magnesium und Hydrokarbonat. Es ist oligometallisch und hypotonisch. Die Wassertemperatur beträgt 35 °C, der pH-Wert beträgt 7,45. Dem Quellwasser wird eine stark heilsame Wirkung zugeschrieben, wobei vor allem das Selen sehr wertvoll ist. Die chemischen Eigenschaften des Wassers wirken heilsam bei Hautkrankheiten, rheumatischen Erkrankungen und weiteren körperlichen und seelischen Schwächen. Darum wird dieses bei einer Kur auch in großen Mengen getrunken (empfohlen werden drei bis vier Liter täglich). Hinzu kommt eine intensive Sonnen-Einstrahlung, die den Heilungserfolg begünstigt. Auch die völlige Abwesenheit von Stressfaktoren ist sicherlich hilfreich.
Symbiose zwischen Mensch und Fisch
Die im Kangal-See und seinen Zuflüssen heimischen Garra Rufa ernähren sich von Zoo- und Phytoplankton. Da dieses im Thermalwasser nur minimal vorkommt, sind die Fische auf andere Eiweißquellen wie menschliche Haut-Schuppen ausgewichen. Während des Badens werden die Menschen mit dem Fischmaul gestoßen, wodurch eine Massagewirkung entsteht. Die sich dabei lösenden Hautschuppen werden vom Fisch als Nahrung aufgenommen. Ein typisches Beispiel für eine funktionierende Symbiose zwischen Mensch und Fisch. Im Frauenbad in Kangal wurden bei Wasserproben zwar Bakterien nachgewiesen (E. coli und Klebsiella pneumoniae), jedoch wurden bislang keine Infektionen bekannt. Da die speziellen Bedingungen in West-Europa nicht komplett kopierbar sind, empfehlen Experten eine Kur in Kangal.
Gesundheitstourismus in Anatolien
In der Türkei wird die heilsame Wirkung der Kangalfisch-Therapie schon seit Jahrhunderten von der Bevölkerung genutzt. Damit wird nicht nur die Schuppenflechte erfolgreich behandelt. Wirksam ist der Doktorfisch auch bei anderen Hauterkrankungen wie Neurodermitis, Akne, Pickel und Fußpilz. In begrenztem Umfang wird diese Therapie auch für Touristen angeboten. Diese verbringen in der Regel täglich mehrere Stunden über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen gemeinsam mit anderen Patienten in einem Bassin, wo sich Hunderte von Kangal-Fischen aufhalten. Zwischenzeitlich hat sich dieser Gesundheits-Tourismus fest etabliert.
Nachteile der Kangalfisch-Therapie
Die „Ichthyo-Therapie“ in Anatolien ist zwar zumeist sehr heilsam, aber auch mit Problemen behaftet. Für eine dauerhafte Besserung sollte man zweimal jährlich etwa 14 Tage Urlaub für die Behandlung einplanen. Die Anreise ist beschwerlich, der nächste Flughafen zwei Autostunden entfernt. Der Aufenthalt in dem bescheidenen Hotel, dem Motel oder auf dem Campingplatz ist zudem relativ teuer. Das größte Problem ist aber die Hygiene. Die Fische schwimmen hier ungehindert von einem Patienten zum nächsten. Es könnten dabei Bakterien oder Viren übertragen werden. Das ist zwar nicht nachgewiesen, doch zumindest theoretisch möglich.
Doktorfische in Westeuropa
Als Lösung bietet sich die Einzeltherapie an. Das ist in Vorderasien bislang nicht möglich. Seit kurzem werden aber in Westeuropa Doktorfisch-Behandlungen angeboten. Die Nutzergruppe ist durch die sehr geringe Zahl der Therapieplätze stark eingeschränkt. Zudem sind bei uns sind die Vorgaben von Gesundheitsamt und Tierschutzbehörden sehr streng. Jeder Fisch-Stamm soll für mindestens eine Woche nur einem Patienten zugeordnet werden. Danach verbleiben die Fische mehrere Tage in Quarantäne, bevor sie dem nächsten Patienten zugeführt werden dürfen. Daher ist die Therapie meist relativ teuer. Zudem ist in diesen Einrichtungen nicht gewährleistet, dass echte Kangal-Fische zum Einsatz kommen. Die Ausfuhr dieser Fische aus der Türkei steht nämlich seit mehreren Jahren unter strengster Strafe. Darum werden hierzulande oftmals verwandte Arten aus Syrien oder dem Libanon eingesetzt. Deren Langzeit-Heilwirkung ist aber umstritten.
Neues, hygienisches Verfahren
Seit kurzem ist ein neues Verfahren zur kommerziellen Nutzung der Doktorfische am Markt. Eine Firma aus Norddeutschland hat ein komplexes System zur artgerechten Haltung, Zucht und Anwendung der Kangal-Fische entwickelt. Besonderes Augenmerk lag auf den hygienischen Bedingungen. Es wurde ein Wannensystem erschaffen, in dem die Patienten bzw. Wellness-Gäste bequem in mit 36 °C angenehm temperiertem Wasser von den Fischen behandelt werden. Durch ein neues Ablauf- und Säuberungs-System kann jeder Kangal-Fischstamm nun gefahrlos bis zu zehn Patienten pro Tag therapieren. In speziellen Glas-Zylindern werden die Tiere während der therapiefreien Zeit professionell gehalten und nachgezüchtet.
Zukunftsmarkt Fish-Spa
Der Markt für Knabberfisch-Therapien ist im Wachstum begriffen, die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem. Im Harz-Städtchen Thale werden derzeit die „Bodetal-Therme“ und ein Wellness-Hotel errichtet. Dort soll ab Frühjahr 2011 die Kangalfisch-Therapie nach der neuen Methode angeboten werden. Aber auch auf anderen Kontinenten grassiert bereits das „Fish-Spa-Fieber“. In asiatischen und amerikanischen Großstädten gibt es allenthalben kleine Läden, wo man sich quasi im Vorübergehen die Füße oder Arme von verschiedenen Saugbarben reinigen bzw. sanft massieren lassen kann. Dabei kann man sich teilweise sogar noch eine Kopf- und Nackenmassage gönnen. So bietet der Einsatz der Fische als „Wellness-Anwendung“ viele neue Möglichkeiten. Mit einer durchgestylten Lounge-Atmosphäre verwöhnt das „Aqua Sheko“ in London seine „Futter-Gäste“. In Singapur hat sogar bereits ein „Fish-Spa-Internetcafé“ eröffnet. So können beispielsweise Geschäftsleute die Therapiezeit gewinnbringend nutzen.
GARRA RUFA Der Doktorfisch
Das sehr nährstoffarme, etwa 35 °C warme Wasser des kleinen Flusses „Kavak Deresi“ sowie seines Mündungsgebietes im Kangal-See beheimatet eine weltweit einzigartige Fischart: die rötliche Saugbarbe „Garra Rufa“ („Doktorfische“) aus der Familie der karpfenähnlichen Fische. Die Besonderheit des Kangal-Fisches ist seine Nahrungsaufnahme. Er ernährt sich als Putzerfisch von den abgestorbenen Hautschuppen der Menschen, die in den dortigen Flüssen und im See baden. Dabei saugen sich die bis zu 12 cm großen Fischlein in kleinen Schwärmen an die Haut der Menschen an und knabbern die Schuppen nach und nach ganz zart ab. Für den Menschen fühlt sich das wie eine sanfte Massage von vielen kleinen Händen an und wird in der Regel als sehr angenehm empfunden.Als Nebeneffekt der „Behandlung“ durch die Fische sollen diese beim Knabbern zusätzlich zum natürlichen Peeling Dithranol oder ein Enzym in die Oberhaut einbringen, welches eine Regulierung des Haut-Wachstums bewirkt und eine spürbare Linderung der Beschwerden häufig über mehrere Monate hinweg bringt.
ICHTHYO-THERAPIEMedizinische Ergebnisse
2006 untersuchte Martin Grassberger (Medizinische Universität Wien) die Wirksamkeit und die Sicherheit bei der Behandlung von Psoriasis-Patienten. Zusätzlich wurde die Stabilität nach Beendigung der Therapie beobachtet.
Das Ergebnis ist im wissenschaftlichen Oxford-Journal „Evidence Based Complementary and Alternative Medicine“ nachzulesen. Danach stellt die Ichthyo-Therapie in Verbindung mit einer angemessenen UVA-Bestrahlung eine gute Behandlungsmethode mit hoher Sicherheit für Psoriasis-Patienten dar.Eine klare Aussage gibt der „Psoriasis Area and Severity Index“ (PASI-Wert), der den Schweregrad der Psoriasis beurteilt.
Dieser Untersuchungsparameter verringerte sich durchschnittlich um 71,7 % gegenüber dem Ausgangswert. Die Behandlungsergebnisse von 67 Patienten wurden ausgewertet. Im Schnitt blieben die Patienten achteinhalb Monate ohne störende Hauterscheinungen. 95 % konnten sechs bis elf Monate völlig ohne Symptome leben. Zudem wurde von allen Teilnehmern ein Fragebogen ausgefüllt. 87,5 % der Studienteilnehmer teilten mit, dass die Ichthyo-Therapie zu besseren Ergebnissen geführt habe als andere Therapiemethoden.
Der wohl größte Vorteil der Behandlung ist, dass die Fische keine unerwünschten Nebenwirkungen hervorrufen. Es wurden keine Nachteile festgestellt. Eine „Wonne in der Wanne“ bieten die kleinen Fische übrigens auch Gesunden. Das Gefühl ist wie eine leichte Massage – ein natürliches Ganzkörper-Peeling, das die Haut streichelzart macht.
WELLNESS WORLD Business, Ausgabe 2/2011